15 Jul Die Geschichte vom weißen Hund
Meine Klientin glaubte schon nicht mehr an ihre Veränderungschancen. Als Frau in einem Männerberuf konnte sie sich nach zwei Jahren Therapie immer noch nicht durchsetzen, fühlte sich abhängig und litt an Depressionen. Es war ihr nicht möglich, angemessene Verhaltensweisen zu entwickeln, und sie klagte sich deswegen häufig an. Die Beziehung zwischen uns war jedoch freundschaftlich und belastbar.
In einer Sitzung zeigte sich ihr Innerer Kritiker als sehr dominant und kraftvoll, und ich war es müde, die immerwährende Litanei der Selbstbezichtigungen anzuhören. Ich hatte bereits all meine Weisheiten von mir gegeben und wußte nicht weiter.
Schließlich sagte ich aus einer Intuition heraus etwas Provokantes.
„Für mich sieht es so aus, als ob Ihr innerer Kritiker der einzige starke Teil in Ihnen ist. Der ist fähig. andere Menschen abzuwerten und zu beschimpfen. Er kann hart sein und durchsetzungsfähig. Der lässt sich nicht unterdrücken. Vielleicht wäre es eine gute Möglichkeit, herauszufinden, wie er das macht. Dann könnten Sie von ihm lernen und das an Ihrem Arbeitsplatz anwenden. Ich glaube, dort können Sie gerade diesen Teil gut gebrauchen.“
Sie schaute mich sehr irritiert an und fragte: „Denken Sie, ich sollte mich so verhalten?“ Ich bat sie daraufhin, es wie ein Spiel auszuprobieren und bot ihr eine Focusing-Einleitung an: „Spüren Sie nach innen, wie fühlt es sich im Körper an, wenn Sie diese Energie in sich einladen?“ Zunächst traten Schwierigkeiten auf, die sie aber „nach außen stellen“ konnte. Als sie sich auf ihren Felt Sense konzentrierte, entwickelte sich das Bild eines riesenhaften weißen Hundes mit großen Zähnen. Er strahlte eine große Bedrohlichkeit aus. Es gelang ihr, ihn auszuhalten, und ich machte ihr das Angebot, in den Hund hineinzuschlüpfen und zu spüren, wie es sich „aus dessen Sicht“ anfühlt. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder reden konnte. Dann schaute sie mich mit großem Erstaunen an und sagte: „Ich habe das hinbekommen, ich war wirklich der Hund, aber der Hund war nicht aggressiv, er war nur sehr hungrig.“
Es stellte sich heraus, daß er das große Bedürfnis hatte gefüttert zu werden. Auf Nachfrage äußerte der Hund, er habe großen Appetit auf Erdbeeren mit Schlagsahne. Danach habe er sich seit langer Zeit gesehnt.
Die Klientin durfte ihn dann füttern. Aber nur ihr allein war es erlaubt, das Geheimnis des Hundes zu kennen. Es fühlte sich für sie sehr gut an, zu wissen, daß in ihr dieser Hund lebt, der nach außen hin aggressiv und bedrohlich wirkt, aber innerlich sehr zugänglich ist, und daß sie weiß, wie sie ihn behandeln muss und daß sie ihm gewachsen ist. So brauchte sie ihn nicht mehr gegen sich zu richten, sondern konnte mit ihm kooperieren.
Diese Sitzung beinhaltete für die Klientin sowohl einen großen Schock als auch eine überraschende Einsicht. Danach organisierte sie ihre innere Welt um und integrierte den „Hunde-Teil“. Wie durch ein Wunder fühlte sie sich besser und beendete die Therapie innerhalb von 4 Wochen. Inzwischen, fünf Jahre später, habe ich sie zufälliger wieder getroffen. Sie ist umgezogen in eine weit entfernte Stadt, hat eine bedeutende berufliche Position angenommen und ihren Jugendwunsch vom Leben im eigenen Haus mit Garten erfüllt.
Die Geschichte vom weißen Hund
Dies ist die unglaubliche Erfolgsstory einer Klientin, die schon nicht mehr an ihre Veränderungschancen glaubte. Aber die Entdeckung eines Felt Sense änderte viel für sie.
Dank an Marek Szturc, der dieses Foto eines weißen Hundes zum freien Gebrauch zur Verfügung gestellt hat.