The Experiential Response

— Einem Wort auf der Spur
Anmerkungen zu einer Übersetzung

Gene Gendlins Artikel „The Experiential Response“ begeisterte mich. Ich hätte mir gewünscht, ihn schon zu Beginn meiner Ausbildung in Klientzentrierter Psychotherapie gelesen zu haben. – Meine Anfängerängste wären durch ihn reduziert worden, und ich hätte mit viel mehr Selbstvertrauen arbeiten können.

Die Freude an dem Artikel verführte mich zu dem idealistischen Plan ihn zu übersetzen. Er formuliert die Kerngedanken der Experientiellen Personzentrierten Psychotherapie so prägnant, daß er auch denen zugänglich sein sollte, die weniger gut Englisch sprechen. Als ich Gene von diesem Vorhaben berichtete, bot er mir spontan Hilfe bei der Übersetzung an. „Denn ich kenne ja beide Sprachen…“

Dennoch hat sich die endgültige Fertigstellung der deutschen Fassung jetzt schon über mehrere Jahre hingezogen. Einer der Gründe war, daß Gene und ich uns nicht auf ein deutsches Wort für „Response“ einigen konnten. „Antwort“ gefiel mir nicht und „Reaktion“ fand Gene entsetzlich falsch – selbst wenn die Wörterbücher diese Übersetzungen anboten.

Fast wäre es darüber zum Streit gekommen. Statt dessen habe ich mich auf die Suche nach einem passenden Begriff gemacht – und habe dabei eine große Überraschung erlebt: „to respond“ ist auch im Englischen ein Fremdwort. Ebenso im Deutschen (respondieren) und Französischen. Es kommt aus dem Lateinischen und dies sind seine Bedeutungen:

  • der Responder – ist eigentlich jemand der auf etwas anspricht, zum Beispiel auf eine Medizin, ein Patient, bei dem eine Substanz wirksam ist.
  • respondieren ist ein veraltetes deutsches Wort für antworten, entsprechen, widerlegen.
  • Respons ist eine Reaktion auf bestimmte Bemühungen
  • Stimulus-Response kennen wir als durch einen Reiz ausgelöstes bestimmtes Verhalten, eine Reaktion
  • Responsorium: kirchlicher Wechselgesang
  • respondieren: Im Wechselgesang den zweiten Part singen
  • spondieren von verkünden, feierlich versprechen, geloben – und bedeutet im Österreichischen auch: jemandem den Magister-Titel verleihen
  • respondieren heißt dann dem Spondieren erwidern, entsprechen
  • und schließlich: to respond ist die archaische Form von to correspond.

Auch einen jüdischen Bezug habe ich gefunden:

  • das Responsum ist die Antwort, Rechtsauskunft, das Gutachten rabbinischer Schulen oder Gelehrter auf schriftliche Anfragen über rituelle und rechtliche Anfragen jüdischen Rechts.

Respondieren meint Interaktion. Meint „in Beziehung sein“, meint „eingehen auf“ und „sich beziehen auf“ den anderen in seiner Erwiderung. Meint Dialog und Anerkennung des Gegenübers. Was hindert uns eigentlich daran, dieses alte Wort wieder einzuführen in unsere psychologische Fachsprache. Es wäre im Sinne Gene Gendlins, uns auf unsere eigene Sprache zu besinnen. Er wird immer ein bißchen unzufrieden, wenn er merkt, daß zwischen der englischem und deutschen Fachsprache kaum Unterschiede sind. Es darf nicht vergessen werden, daß Gene Gendlin ein Emigrant ist, ein Flüchtling, der als Kind aus seiner vertrauten Wiener Umgebung vertrieben wurde. Dass wir das Werk Gendlins überhaupt übersetzen müssen, erfüllt mich mit Wehmut. Einer von uns, einer der fortgehen mußte um weiterleben zu können. Aber auch Dankbarkeit: Wenigstens dürfen wir ihn übersetzen, wenigstens ging er uns nicht verloren wie so viele im sogenannten Dritten Reich.

Es hat dann doch nicht geklappt mit der Übersetzungshilfe. Es stellte sich heraus, daß es sehr schwer ist, das Eigene und doch inzwischen Fremdgewordene – die Muttersprache – mit dem nötigen Abstand zu betrachten und es gab Auseinandersetzungen über bestimmte Ausdrucksweisen. In diesen Auseinandersetzungen über einen sich ändernden Sprachgebrauch fanden wir heraus, wie Sprache mit dem innersten Kern verbunden ist, und wie sehr auch beim Übersetzen ein Focusing-Prozeß helfen kann. – Eben um ‘richtige’, stimmige Worte und Formen zu finden.

Genes Wesen entfaltet sich in seinen Worten. Diese aus der Hand zu geben in einen (inzwischen) veränderten Sprachraum, der doch scheinbar der ureigenste, vertrauteste Herkunftsboden ist, kann wütend und unwillig machen. Was bedeutet es eigentlich, wenn ein ursprünglich hochdeutsch sprechender Mensch, der in die englische Sprache hineingewachsen ist, dort beruflich sozialisiert, sein Werk jetzt wieder übersetzt sieht?. Kommt es zu inneren Brüchen, Dissonanzen, Ungereimtheiten: „es müßte doch im Deutschen anders klingen…“? Was bedeutet es, wenn sich die Muttersprache dem genauen Verständnis entzieht? Wenn sich die ursprünglich vertraute Sprache weiterentwickelt, und ich nicht mehr in diesen Prozeß eingebunden bin? Sprache gerinnt. Dies zu erfahren, ist eine Kränkung. Es konfrontiert mit dem Verlorenen, es generiert Entfremdung.
Geht das eigentlich? Unter diesen Voraussetzungen ‘stimmige’ Worte zu finden, Worte die innen schwingen? Oder wird die Muttersprache endgültig fremd?

Ich würde mir wünschen, daß wir einige der Worte Gendlins übernehmen und sie dem deutschen Fachwortspektrum hinzuzufügen: wie vielleicht experientielles (erlebensbezogenes) Respondieren. – Als Geschenk.

„Experientiell“ steht in der Tradition der Existentialphilosophie. „Respondieren“ drückt wie kein anderes Wort in verdichteter Weise aus, worin für Gene Gendlin eine therapeutische Reaktion, Intervention, Antwort, Bezugnahme bestehen soll. Und das ist es, was er eigentlich möchte, Worte, die Tiefe haben. In dem Wort „Respondieren“ können wir einen Bogen schlagen über Geschichte und Nationen hinweg.

Sind wir es diesem bedeutenden Philosophen und Psychologen nicht schuldig sein Denkgebäude authentisch zu übertragen? – Er kommt eigentlich aus Wien. Um seinem Denken und Schreiben gerecht zu werden, sollten wir mit ihm und für ihn auch unsere Sprache ein bißchen neu erfinden. – Sprache zu benutzen, wie einen felt sense, das Neue, noch nicht Fertige mit einbeziehen. Dann wird er vielleicht wieder ein bißchen einer von uns.

Arbeiten mit Gene Gendlin

Es war nicht immer einfach. Aber es brachte mich jedesmal ein Stück weiter.